Memoria

FR 2021 | 136 MIN | fr.

Regie: Apichatpong Weerasethakul

Drehbuch: Apichatpong Weerasethakul

Kamera: Sayombhu Mukdeeprom

Schnitt: Lee Chatametikool

Musik: César López

Darsteller:innen: Tilda Swinton, Jeanne Balibar, Juan Pablo Urrego, Elkin Díaz, Daniel Giménez Cacho, Agnes Brekke, Jerónimo Barón, Constanza Gutierrez

Seit Jessica  bei Tagesanbruch von einem lauten Knall erschreckt wird, kann sie nicht schlafen. In Bogotá, um ihre Schwester zu besuchen, freundet sie sich mit Agnes an, einer Archäologin, die menschliche Überreste untersucht, die in einem im Bau befindlichen Tunnel entdeckt wurden. Jessica reist zu Agnes an die Ausgrabungsstätte. In einer kleinen Stadt in der Nähe trifft sie auf einen Fischschupper, Hernan. Sie teilen Erinnerungen am Fluss. Als der Tag sich dem Ende neigt, wird Jessica zu einem Gefühl der Klarheit geweckt.


"Memoria" erforscht Welten ohne Zeit und Orientierung, weil Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Stille, Lärm, verschiedene Regionen der Welt, Schaufellader, usw. alle nebeneinander existieren und in einem permanent vernetzten Universum zusammenwirken. Unser Handeln in alle Richtungen muss solidarisch sein, zusammengesetzt aus Erinnerungen, die genauso bedrohlich wirken wie echte Gefahren, ehe sich eine strahlende Realität durchsetzt." - Arte.TV

Kritik zum Film

Slow Cinema für wenige Glückliche: Weerasethakuls Meisterwerk "Memoria"

Falter über Memoria

Ein dumpfer Knall reißt Jessica aus dem Schlaf. Traumhapert geistert sie in der nächtlichen Wohnung herum. Alles ist ruhig, die Ursache für das Geräusch nicht zu eruieren. Schon der Grundton von "Memoria", dem neuen, rätselhaften Film von Apichatpong Weerasethakul, hat etwas Unheimliches.
 

Fast wie ferngesteuert begibt sich Jessica (somnambul: Tilda Swinton) auf die Spur des mysteriösen Urknalls. "Wie ein Rumpeln aus dem Kern der Erde", beschreibt sie das Geräusch dem Musikstudenten Hernán (Juan Pablo Urrego), der es im Tonstudio für sie nachbaut. Man ist sich sympathisch, eine Romanze deutet sich an; als Jessica jedoch das nächste Mal ins Studio kommt, erfährt sie, dass hier nie jemand dieses Namens gearbeitet hat.

 

Eines der wiederkehrenden Themen im Werk des thailändischen Meisterregisseurs Weerasethakul ist "Displacement". Oft stehen seine Protagonisten neben sich oder sind fremder Umgebung ausgesetzt, wie hier die Schottin Jessica, die in Medellín an Orchideen forscht und gerade ihre Schwester in Bogotá besucht, die an einer seltsamen Atemwegserkrankung laboriert. In "Memoria" finden solche Verschiebungen auf verschiedensten Ebenen, äußerlich wie innerlich, statt, um zum überraschenden, aber unbefriedigenden Ende buchstäblich ins Kosmische abzuheben.

 

Die metaphysische Unruhe freilich bleibt, denn im Laufe des Films urknallt es öfters. Jessica bleibt die einzige, die des Geräusches gewahr ist, das sie auch in Gesprächen, mitten in der Natur oder auf einer belebten Straße heimsucht. Letzteres übrigens eine gekonnte Irritation: Offenbar hat der Mann, der an einer Kreuzung stürzt, dasselbe gehört -doch der Gegenschnitt zeigt, dass es diesmal nur die Fehlzündung eines alten Busses war.

 

Das letzte Drittel des Films widmet sich Jessicas Begegnung mit dem Einsiedler Hernán (Elkin Diaz), der eine Art älterer Wiedergänger des Studenten ist und wie Ireneo Funes in Borges' Erzählung über das "unerbittliche Gedächtnis" verfügt: Er kann nichts wieder vergessen. Eventuell trifft das auch auf diesen Film zu -zumindest für die lucky few, die ihn sehen werden.


Michael Omasta

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