Mit Liebe und Entschlossenheit

Avec amour et acharnement
FR 2022 | 117 MIN | fr.

Regie: Claire Denis

Drehbuch: Christine Angot, Claire Denis

Kamera: Éric Gautier

Schnitt: Emmanuelle Pencalet, Guy Lecorne, Sandie Bompar

Musik: Tindersticks

Ton: Jean-Paul Mugel

Darsteller:innen: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, Issa Perica, Bulle Ogier, Mati Diop

Im Wettbewerb der Berlinale 2022 präsentierte Claire Denis nach ihrem Erfolg „Meine schöne innere Sonne“ wieder einen Liebesfilm mit Juliette Binoche – in einer romantischen Ménage-à-trois mit Vincent Lindon und Grégoire Colin. Binoche steht zwischen den beiden Männern. Einer ist der sichere Hafen, der andere die wilde See, so scheint es. Und sie zwischen Leidenschaft und Beziehung hin und her gerissen.

 

Seit zehn Jahren führen Sara und Jean eine liebevolle, stabile Beziehung. Sie sind glücklich. Er ist ihr Fels in der Brandung. Zuvor war Sara mit François zusammen, Jeans bestem Freund. Als sie François eines Tages auf der Straße sieht, überkommt sie die plötzliche Ahnung, dass eine Veränderung bevorsteht. Tatsächlich nimmt François Kontakt zu Jean auf und schlägt ihm eine Zusammenarbeit vor. Es dauert nicht lange, bis die Situation außer Kontrolle zu geraten droht.

 

MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT ist Claire Denis’ dritte Zusammenarbeit mit der preisgekrönten Autorin Christine Angot. Gemeinsam verfassten sie bereits das Drehbuch zu „Meine schöne innere Sonne“, ebenfalls mit Juliette Binoche in der Hauptrolle. Deren mutiges und engagiertes Spiel beweist erneut das große Können dieser Darstellerin, mit ihrem Körper den Widerstreit gegensätzlicher Emotionen genau abzubilden. Eric Gautiers präzise Kamera zeigt uns kontrastierende Bilder: Etwa die entspannt ineinander verflochtenen Hände, aber auch den Körper in einer einzigen Vorwärtsbewegung unter tiefen Klagelauten. Gefangen in ihrer brennenden Leidenschaft sind Denis’ Protagonist:innen scheinbar blind und taub gegenüber der Gesellschaft und ihrem unerbittlichen Anspruch, alles in Schwarz und Weiß zu unterteilen.

Auszeichnungen:
  • Berlinale 2022 - Silberner Bär, Beste Regie

Kritik zum Film

Juliette Binoche und Regisseurin Claire Denis haben ein weiteres Mal ein hauchzartes Filmgespinst der Liebe gewoben

"Mit Liebe und Entschlossenheit" untersucht die Sprache der Liebe

Fragmente einer Sprache der Liebe – der Titel eines 1977 erschienenen Buches von Roland Barthes ist inzwischen eine Redewendung geworden, ein geflügeltes Wort. Es verweist darauf, dass von dem kostbarsten Gefühl immer nur ein Teil mitteilbar ist. Der vielleicht größere Teil bleibt für die Worte unsagbar. Das Buch von Barthes (die deutsche Ausgabe erschien bei Suhrkamp) fand Codes im Allerpersönlichsten. Es gehört in jeden Haushalt, der intellektuell ein bisschen auf sich hält.

 

2017 tat sich die Filmemacherin Claire Denis mit der renommierten Autorin Christine Angot und mit Jean-Pol Fargeau zusammen und schrieb auf Grundlage der Fragmente einer Sprache der Liebe ein Drehbuch, aus dem der Film Meine schöne innere Sonne (Mon beau soleil interieur) wurde. Juliette Binoche war damals in einem Zustand großer Verletzlichkeit zu sehen, sie war vielleicht nie schöner in einem Film, sie verbarg ihr Älterwerden nicht, zeigte aber auch, dass man anders mit dieser Wunde umgehen kann als Kolleginnen, die stärker auf Hilfsmittel oder gar auf Operationen setzen.

 

Das Comeback der Gruppe

Nun hat das Team von damals einen neuen Film gemacht, keine Fortsetzung im engeren Sinn, aber thematisch schließt Mit Liebe und Entschlossenheit an den Vorgänger an. Die Frauengruppe von damals ist wieder beisammen: Claire Denis als Regisseurin, Juliette Binoche als Hauptdarstellerin, und Christine Angot hat dieses Mal ein eigenes Buch als Vorlage eingebracht. Es heißt Un tournant de la vie, so viel wie: Ein Wendepunkt im Leben, leider ist es wie die meisten Bücher von Angot bis jetzt nicht ins Deutsche übersetzt worden.

Angot hatte eine kurze Konjunktur als eine der "schamlosen Französinnen", als eine von mehreren Frauen, die explizit ihr erotisches Leben zum Thema machten (Catherine Millet, Virginie Despentes und Nelly Arcan komplettierten die Gruppe). Seither ist die Karawane der deutschen Buchbranche weitergezogen, und Angot ist wieder hinter der Sprachgrenze verschwunden.

 

Nun, nicht ganz. Denn das Kino vermittelt ja auch Literatur. Und wer könnte bessere Fragmente einer Sprache der Liebe präsentieren als Claire Denis, die von Beginn an mit ihren Filmen das Uneindeutige, das Vielschichtige, die Intensität gegenüber der Rationalität bevorzugt hat? In Mit Liebe und Entschlossenheit erzählt sie eine Dreiecksgeschichte: Juliette Binoche spielt Sara, die mit Jean (Vincent Lindon, viril und waidwund zugleich) zusammenlebt. Er hat einen Sohn mit einer Frau, die inzwischen wieder in Martinique lebt – eine gescheiterte Beziehung zwischen Zentrum und Kolonie, von der im Film viel indirekt die Rede ist.

 

Eines Tages sieht Sara auf der Straße François (Grégoire Colin), von dem sich bald herausstellt, dass er für sie und für Jean früher einmal sehr wichtig war. Das ganze Ausmaß dieser Bedeutung könnte man schon aufgrund dessen erahnen, wie Jean die Erwähnung von François, von Sara beiläufig platziert, zuerst einmal fast übergeht oder zu ignorieren scheint. Dahinter verbirgt sich eine Erschütterung, die der Film danach allmählich in sich aufnimmt und verarbeitet.

 

Dreierkonstellation

Großartig zum Beispiel, wie Sara sich an den Moment erinnert, in dem sie ihr Interesse für Jean entdeckte: zwei Menschen, die (noch) mit jemandem zusammen sind. Sara fand damals vor allem das Detail anziehend, dass Jean am späten Abend noch zu seiner Frau nach Hause ging. Ein ganz normaler Vorgang, aber ihr damaliger Partner François hatte an diesem selben Abend noch etwas vor, sie blieb allein. Jean erinnert sich nur vage. Er sieht aber die Konstellation von einst, den Partnerwechsel, der sich andeutet und schließlich vollzieht, in einem anderen Detail gespiegelt: Hat Sara sich von dem wieder aufgetauchten François auf den Mund küssen lassen?

 

Auf so etwas achten normalerweise eher Teenager, würde man meinen. Mit Liebe und Entschlossenheit aber sucht eben nach diesem Zustand, in dem man erwachsen, aber noch lange nicht abgehärtet ist. Das Wort Entschlossenheit im Titel wird vor allem für die Frau im Dreieck bedeutsam: für Sara, für Juliette Binoche, für Claire Denis und Christine Angot, die sich alle gemeinsam in einer Figur verkörpern, die gerade das Fragmentarische am Wissen über sich selbst und über die Liebe überzeugend spielt. (Bert Rebhandl, 13.7.2023)


Bert Rebhandl, der Standard

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